Stimmen auch alle Gewerkschaften in die Forderung nach Arbeitsbeschaffung ein, so ist es doch allein der ADGB, der ein konkretes Programm vorlegt, das auf der Idee einer antizyklischen Konjunkturpolitik basiert.
Im Juni 1931 veröffentlicht Wladimir Woytinsky, der Leiter des Statistischen Büros der ADGB, ein Aktionsprogramm zur Belebung der Wirtschaft, mit dem er für eine „aktive Weltwirtschaftspolitik“ eintritt. Das führt zu einer heftigen Debatte innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Hauptkritiker ist Fritz Naphtali, der im Juli 1931 gegen die Vorschläge Woytinskys einwendet, sie müssten unweigerlich inflationistisch wirken und bedeuteten somit „eine Fehlleitung von Energien” der Sozialdemokratie. Angesichts der Erfahrungen der Hochinflation mögen diese Befürchtungen zwar verständlich sein. Sie beruhen jedoch auf einer Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Realität, die in Anbetracht der Deflations-Politik festzustellen zu einem fortschreitenden Schrumpfungsprozess der Wirtschaft beiträgt.
Für die Haltung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, die sich den Vorbehalten von Naphtali weitestgehend anschließt, dürfte vor allem der Entschluss zur Tolerierung der Regierung Brüning maßgebend gewesen sein. Ein Einschwenken auf die Idee einer aktiven Konjunkturpolitik durch Kreditausweitung liefe dieser Politik zuwider. Auch ein grundsätzlicher Vorbehalt gegen die seit der Jahrhundertwende deutlich zunehmende Selbstständigkeit der Freien Gewerkschaften mag für das hinhaltende Taktieren der SPD-Führung eine Rolle gespielt haben. Denn in der Tat: Der Plan Woytinskys kann als sozialpolitisch motivierte Überlebenshilfe für die privatkapitalistische Ordnung, die sich doch in einer „End-Krise” zu befinden scheint, gedeutet werden und damit das Programm einer Überwindung des Kapitalismus unglaubwürdig machen. Dieses Problem spricht Fritz Tarnow, der Vorsitzende des Holzarbeiter-Verbandes, an, wenn er in seinem auf dem Leipziger SPD-Parteitag (31. Mai bis 5. Juni 1931) gehaltenen Referat über „Kapitalistische Wirtschaftsanarchie und Arbeiterklasse” mit der umstrittenen Formel operiert, die wirtschaftliche Krisensituation sei geeignet, SPD und Freie Gewerkschaften, ob sie wollten oder nicht, zum Arzt und Erben am Krankenbett des Kapitalismus zu machen. Die Delegierten stimmen der dem Referat entsprechenden Resolution zu, doch eine Konkretisierung dieser Gedanken bleibt innerhalb der SPD-Programmdiskussion aus.
Demgegenüber werden die Arbeitsbeschaffungs-Vorstellungen von Wladimir Woytinsky, Fritz Tarnow und Fritz Baade, dem Leiter der Reichsforschungsstelle für landwirtschaftliches Marktwesen und Mitglied der SPD-Reichstagsfraktion, weiterentwickelt. Um die Jahreswende 1931/32 legen sie den nach den Autoren benannten WTB-Plan vor: Vorgesehen sind öffentliche Arbeiten mit einem Finanzvolumen von zwei Milliarden Reichsmark, durch die – gewissermaßen als Initialzündung – eine Million Arbeitslose für ein Jahr wieder in den Produktionsprozess eingegliedert werden sollen.
Der Krisenkongress vom 13. April 1932 bildet den Schlusspunkt der innergewerkschaftlichen Diskussion und soll – so Theodor Leipart – wie ein „Fanal” wirken, um das sich alle scharen müssten, die für eine sofortige Krisenbeendigung einträten. Die vom Kongress verabschiedete Resolution fasst die Forderungen des ADGB zusammen und versucht sie zudem mit dem Programm zum „Umbau der Wirtschaft” zu verknüpfen.
Der ADGB ist nicht die einzige gewerkschaftliche Organisation, die ein Konzept zur aktiven Bekämpfung der Wirtschaftskrise diskutiert. Auch die Christlichen Gewerkschaften erheben immer wieder die Forderung nach Arbeitsbeschaffung. Doch werden weder konkrete Aufgabenbestimmungen noch Finanzierungsmodelle entwickelt, so dass das Arbeitsbeschaffungspostulat eher deklamatorischen Charakter hat.
Vor allem zu erinnern ist auch an das Wirtschaftsprogramm des AfA-Bundes, das von Fritz Croner und Otto Suhr propagiert wird. In diesem Konzept treten ohne Zweifel die traditionell sozialdemokratischen Planwirtschaftsvorstellungen stärker hervor als im WTB-Plan. Gerade damit entspricht das Programm des AfA-Bundes offenbar weit gehend den Intentionen der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion. Vor allem die Artikel zum Thema Arbeitsbeschaffung im „Vorwärts” ab Januar/Februar 1932 und dann auch die Gesetzesanträge der SPD vom Spätsommer 1932 folgen planwirtschaftlichen Modellen, zu denen sich der ADGB im Rahmen seines Arbeitsbeschaffungsprogramms mit dem angehängten Absatz zum „Umbau der Wirtschaft” allenfalls sehr vorsichtig bekennt.
Erst im Juni 1932 veröffentlicht der ADGB dann ausführliche „Richtlinien zum Umbau der Wirtschaft”. Hier wird – anknüpfend an Überlegungen des AfA-Bundes – ein ganzer Katalog von Forderungen zusammengestellt, die insgesamt die Verstaatlichungs‑ und Planwirtschaftsziele der Freien Gewerkschaften bündeln und mit Forderungen zur Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik verbinden. Gewiss bieten diese Richtlinien zumeist nicht grundsätzlich neue Forderungen. Aber in der Zusammenfassung gewinnen sie doch eine programmatische Qualität, die vor allem auf der „Linken” politische Anziehungskraft verspricht. Doch zu einer Massenmobilisierung führt das nicht.
So geht das Programm zum „Umbau der Wirtschaft” an den Machtverhältnissen im Sommer und Herbst 1932 ebenso vorbei wie der Arbeitsbeschaffungsplan. Auch wenn man die Realisierungsmöglichkeiten des Arbeitsbeschaffungsprogramms und erst Recht die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt nicht sehr optimistisch einschätzen darf, so ist doch gewiss zu fragen, ob nicht eine derartige Politik, wäre sie im Frühjahr 1932 eingeleitet worden, das Vertrauen in Handlungsbereitschaft und -fähigkeit der Regierung, vielleicht auch der Weimarer Demokratie insgesamt, hätte stärken oder zumindest den Vertrauensschwund hätte eindämmen können.
Richtlinien des ADGB und des AfA-Bundes zum Umbau der Wirtschaft vom 21. Juni 1932 (pdf)