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Ziel in Ost und West: Die Einheitsgewerkschaft schaffen
Im Westen Deutschlands werden vielfach sofort nach dem Einmarsch alliierter Truppen Gewerkschaften gegründet. So entstehen in Aachen und Köln bereits im März 1945 wieder Gewerkschaften. Stuttgart, Hamburg und Hannover folgen im April/Mai 1945. Parallel dazu werden in vielen Betrieben Betriebsräte ins Leben gerufen, Antifaschistische Ausschüsse nehmen den Wiederaufbau eines nach-faschistischen politischen Lebens in Angriff.
Doch erst nach der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 gestatten die alliierten Besatzungsmächte offiziell die Gründung von Gewerkschaften. Allein in der britischen Zone werden daraufhin zwischen Oktober 1945 und März 1946 rund 400 Anträge auf die Zulassung von Gewerkschaften gestellt. Dabei sind die Organisationsprinzipien der neuen Gewerkschaften ebenso unterschiedlich wie umstritten. Es besteht nicht nur Uneinigkeit über die Gliederung in Berufsverbände oder Industriegewerkschaften, sondern zudem über die Schaffung einer einheitlichen Zentral- bzw. Allgemeinen Gewerkschaft oder eines föderalen Gewerkschaftsbundes. In einem sind sich die Gewerkschaftsgründer indessen einig: Die weltanschaulich und parteipolitisch getrennten Richtungsgewerkschaften gehören der Vergangenheit an. Die Gewerkschaftsversammlungen auf betrieblicher und lokaler Ebene ebenso wie die Veranstaltungen zum 1. Mai stehen ganz im Zeichen der Gewerkschaftseinheit.
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1949: 16 Einzelgewerkschaften schließen sich zum Deutschen Gewerkschaftsbund zusammen.
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Neuanfang in den Westzonen
Sind sich die westlichen Alliierten auch in den Grundzügen ihrer Gewerkschaftspolitik einig, so entwickeln sich doch von Zone zu Zone – wegen der jeweils unterschiedlichen Besatzungspolitik – ganz unterschiedliche Gewerkschaftsorganisationen.
Bereits am 6. August 1945 wird die Gründung von Gewerkschaften in der britischen Zone gestattet. Die weitere Entwicklung der Gewerkschaften wird jedoch einem Dreiphasenplan unterworfen, nach dem die Gewerkschaften zunächst nur auf lokaler Ebene Programme und Satzungen entwerfen und erste Versammlungen abhalten dürfen. In der zweiten Phase der „vorläufigen Entwicklung”, sollen dann Räume angemietet und Mitglieder geworben werden können. Die Phase des Wachstums soll schließlich durch die Wahl von Funktionären und durch die Aufnahme der Gewerkschaftsarbeit gekennzeichnet sein. Der Übergang von einer Phase zur nächsten muss jeweils durch die Militärregierung genehmigt werden.
An diesen Vorgaben scheitern die gewerkschaftlichen Bemühungen, möglichst rasch eine Zentralisierung ihrer Organisationen zu schaffen. Völlig blockiert werden die vor allem in Niedersachsen entstandenen und auch von Hans Böckler bevorzugten Zentralen bzw. Allgemeinen Gewerkschaften. Besatzungsmacht und englische Gewerkschafter machen den Gewerkschaftsführern der britischen Zone klar, dass sie sich nicht mit dem Plan einer zentralen Einheitsgewerkschaft, sondern allein mit dem Prinzip eines Bundes von Industrieverbänden anfreunden können.
Da diese Idee Tradition in der deutschen Gewerkschaftsentwicklung hat, lässt sie sich relativ leicht durchsetzen. So sind es selbstständige Einzelgewerkschaften, die schließlich am 22./25. April 1947 in Bielefeld den Deutschen Gewerkschaftsbund für die britische Zone gründen. An dessen Spitze wird Hans Böckler gewählt.
Auch in der amerikanischen Zone geht die Entwicklung stufenweise voran, führt aber Ende August 1946 und Ende März 1947 in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern zur Gründung von Landesverbänden. In der französischen Zone werden im Frühjahr 1947 die Landesverbände für Südwürttemberg und Hohenzollern, für Baden und für Rheinland-Pfalz gegründet. Kurz nach der Bildung der Bizone wird am 6. November 1947 der Gewerkschaftsrat für die amerikanische und britische Zone geschaffen, dem sich am 20. Dezember 1948, nach Schaffung der Trizone der Gewerkschaftsrat der französischen Zone anschließt.
Das Prinzip der Einheitsgewerkschaft hat sich durchgesetzt, die Spaltung in Richtungsgewerkschaften ist überwunden. Durchgesetzt hat sich zudem das von den Alliierten geförderte bzw. geforderte und zudem in der deutschen Tradition angelegte Prinzip des föderalen Zusammenschlusses von selbstständigen Industrie- bzw. Berufsverbänden, in denen – bis auf Ausnahmen – Arbeiter, Angestellte und Beamte gemeinsam organisiert sind.
Nicht durchgesetzt aber hat sich, dass es nur eine Gewerkschaft für Arbeiter, Angestellte und Beamte gibt. Schon 1946/47 zeichnen sich Bemühungen ab, für Angestellte und Beamte gesonderte Verbände zu schaffen. So verabschiedet sich die Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) frühzeitig aus dem Prozess zur Bildung eines einheitlichen bundesweiten Dachverbandes. Bei den Verhandlungen über die Vereinheitlichung der Gewerkschaftsbewegung in den Westzonen bieten die Einheitsgewerkschaften der DAG an, die Angestellten von Handel, Banken, Versicherungen, Verlagen usw. in einem eigenen Industrieverband zu organisieren. Als die DAG dies zurückweist, stellt der DGB der britischen Zone fest, dass sich die DAG damit außerhalb des DGB gestellt habe. Im April 1949 wird die DAG als eigenständige Gewerkschaft gegründet, und im September 1949 folgt die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV), die zum DGB gehört. Damit ist – für Jahrzehnte – der Bruch vollzogen. Auch weite Kreise der Beamtenschaft beharren auf einer gesonderten Organisation, dem Deutschen Beamtenbund (DBB).
In den westlichen Besatzungszonen erleben die Gewerkschaften einen von Zone zu Zone sehr unterschiedlichen Mitgliederzulauf: Der stärkste Gewerkschaftsbund ist der der britischen Besatzungszone, in dem 1948 fast 2,8 Millionen Mitglieder und damit gut 42 Prozent aller Beschäftigten organisiert sind. In der amerikanischen Zone zählen die Gewerkschaften im selben Jahr 1,6 Millionen und in der französischen Zone nur 385.000 Mitglieder, was einem Organisationsgrad von etwa 38 bzw. 30 Prozent entspricht.
Bemerkenswert frühzeitig, also lange vor der Gründung eines die Westzonen umgreifenden Gewerkschaftsbundes, entfalten die Gewerkschaften eine Vielfalt von organisationspolitischen Aktivitäten: Das Spektrum reicht von der Gründung des Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts unter Viktor Agartz und der Büchergilde Gutenberg sowie des Bund-Verlages über die Schaffung von Bildungseinrichtungen (Sozialakademie in Dortmund, Akademie für Gemeinwirtschaft in Hamburg und Arbeit und Leben) und Ferienwerken bis zu Kulturveranstaltungen (Ruhrfestspiele in Recklinghausen). Sofort nach dem Ende der NS-Diktatur beginnt das gewerkschaftliche Leben, dessen Spitze die alljährlichen Mai-Feiern bilden.
In der sowjetisch besetzten Zone geht der Gewerkschaftsaufbau relativ rasch voran: Bereits am 2. Juni 1945 beauftragt die Sowjetische Militärregierung eine Kommission mit vier Kommunisten, darunter Walter Ulbricht, vier Sozialdemokraten sowie Jakob Kaiser von den früheren Christlichen Gewerkschaften und Ernst Lemmer von den ehemaligen Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen mit der Vorbereitung einer Gewerkschaftsgründung. Kurz nachdem die Sowjetische Militäradministration mit Befehl Nr. 2 am 10. Juni 1945 das Recht zur Vereinigung in Gewerkschaften (und zur Bildung politischer Parteien) gewährt hat, verständigen sich die Gewerkschaftsgründer am 13. Juni 1945 auf die Bildung eines „Vorbereitenden Gewerkschaftsausschusses für Groß-Berlin“. Dieser Ausschuss, dem drei Kommunisten, drei Sozialdemokaten, von denen einer inzwischen KPD-Mitglied ist, sowie Kaiser und Lemmer als Vertreter der demnächst zu gründenden CDU angehören, ist faktisch der Gründungsvorstand des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB). Ein entsprechender Gründungsaufruf wird am 15. Juni veröffentlicht.
Nach mehreren vorbereitenden Tagungen, in denen sich bereits erste parteipolitische Differenzen innerhalb der neuen Gewerkschaften zeigen, tritt vom 9. bis 11. Februar 1946 in Berlin die „Erste Allgemeine Delegiertenkonferenz des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes für das sowjetisch besetzte Gebiet“, der Gründungskongress des FDGB, zusammen. Dem neuen Gewerkschaftsvorstand gehören 19 KPD-, 18 SPD-, 4 CDU-Mitglieder und 4 Parteilose an. Der Vorstand wählt Hans Jendretzky (KPD) zum ersten, Bernhard Göring (SPD) zum zweiten und Ernst Lemmer (CDU) zum dritten Vorsitzenden.
In einer programmatischen Erklärung über „Grundsätze und Aufgaben der Freien Deutschen Gewerkschaften“ bekennen sich die Delegierten – wie schon der Gründungsaufruf – zu den Prinzipien der Einheitsgewerkschaft und des Industrieverbandes, wobei unter Einheitsgewerkschaft eine zentralistische Monopolorganisation mit untergeordneten Verbänden verstanden wird. Außerdem werden folgende Ziele festgelegt: Säuberung der Wirtschaft vom Nationalsozialismus, Wiederaufbau der Wirtschaft unter Einführung von Mitbestimmungsrechten für die Arbeitnehmer, Verbesserung der Arbeitsbedingungen sowie Schulungs- und Kulturarbeit. Mit der FDGB-Gründung wird zudem der Zusammenschluss von SPD und KPD flankiert, der dann im April 1946 erfolgt.
Die enge Verbindung der FDGB-Führung mit der SED-Politik führt zu einer Abspaltung vom FDGB: In Berlin, das dem Viermächtestatus unterliegt und nicht zum Herrschaftsbereich der Sowjetischen Militäradministration gehört, formiert sich die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation (UGO). Sie konstituiert sich 1948 in den drei Westsektoren Berlins zunächst im, später dann gegen den FDGB. Etwa ein Drittel der FDGB-Mitglieder treten der UGO bei. Aus der UGO wird 1950 der DGB-Landesbezirk Berlin.
Die Mitgliederzahl des FDGB wächst rasch an: Im Gründungsjahr 1945 hat er rund 1,6 Millionen Mitglieder, 1946 dann 3,3 Millionen (davon eine Million Frauen) und 1947 vier Millionen Mitglieder (davon 1,2 Millionen Frauen). Parallel zum Wachstum der Mitgliedschaft und zum Ausbau des Gewerkschaftsapparats sowie zur Übernahme quasi-öffentlicher Funktionen z.B. in der Sozialversicherung entfaltet der FDGB ein breites Spektrum von publizistischen und betrieblichen Aktivitäten. Neben der Herausgabe zahlreicher Publikationen entwickelt er vielfältige kulturelle Aktivitäten wie den Aufbau von Betriebsbüchereien, die Durchführung von Theaterbesuchen, Fortbildungskursen und Freizeitgruppen. Außerdem richtet der FDGB zum 1. Januar 1947 einen Ferien- und Erholungsdienst ein. Dieser wird zu einem der wichtigsten Instrumente des FDGB, die Loyalität breiter Bevölkerungskreise für die DDR zu sichern.
Wie in den Westzonen werden auch in der Sowjetischen Besatzungszone direkt nach dem Ende des Krieges an zahlreichen Orten Betriebsräte gegründet. Die Organisatoren sind vielfach Sozialdemokraten und Kommunisten. Diese Betriebsräte versuchen sich eine gewisse Unabhängigkeit vom FDGB zu bewahren, wobei betriebs-egoistische und parteipolitische Interessen miteinander verbunden sind. Gleichzeitig geht der FDGB daran, in den Betrieben die eigene Organisation durch die Schaffung von Betriebsgewerkschaftsleitungen zu verankern.
In der Folgezeit werden die Betriebsräte ihrer Funktionen beraubt: Zunächst wird ihnen das Mitbestimmungsrecht in Produktionsfragen genommen, dann werden sie in sozialpolitischen Fragen den Betriebsgewerkschaftsleitungen unterstellt. Die 1948 anstehenden Betriebsrätewahlen werden verschleppt und dann ausgesetzt. Im September 1948 werden „Betriebswahlen“ abgehalten, an denen – anders als bei Betriebsrätewahlen – nicht die gesamte Belegschaft, sondern nur die FDGB-Mitglieder teilnehmen können. Das Ergebnis fällt für den FDGB ernüchternd aus.
Er zieht daraus die Konsequenz, die Betriebsräte vollends zu zerschlagen. Auf der Bitterfelder Funktionärskonferenz vom 25./26. November 1948 wird der Geschäftsführende Bundesvorstand beauftragt, entsprechende Schritte zu unternehmen, damit die mit Kontrollratsgesetz Nr. 22 den Betriebsräten übertragenen Rechte und Pflichten den Betriebsgewerkschaftsleitungen übertragen werden. Damit sind die Betriebsräte ausgeschaltet. Anders als die Betriebsräte sind die Betriebsgewerkschaftsleitungen Untergliederungen der Gewerkschaft. Getreu dem Prinzip des „demokratischen Zentralismus“ werden bald die Kandidatenlisten für die Betriebsgewerkschaftsleitungen von übergeordneten Vorstandsgremien ausgearbeitet und verabschiedet. Und dank der Vorstellung von der Interessenübereinstimmung zwischen SED-Partei- und Staatsführung, Leitung der volkseigenen Betriebe und des FDGB scheint sich aus der Sicht der FDGB-Führung eine eigenständige Interessenvertretung der Arbeitnehmer zu erübrigen.
Eine Konsequenz der SED-Gründung ist, dass die Angehörigen der neuen Einheitspartei innerhalb des FDGB-Vorstandes eine erdrückende Mehrheit haben: 37 der insgesamt 45 Vorstandsmitglieder, d.h. 82 Prozent, gehören der SED an. Nicht zuletzt dank der Kaderpolitik der ehemaligen Kommunisten geraten bald die FDGB-Zentrale und auch die Führungen der Einzelgewerkschaften unter den Einfluss der von Kommunisten dominierten SED. Diese stimmen ihre Politik mit den Vorgaben der SED ab.
Im Herbst 1948 wird die FDGB-Spitze umbesetzt: Jendretzky wird zum Vorsitzender der Berliner SED gewählt, Herbert Warnke, ebenfalls Mitglied der SED, wird Vorsitzender des FDGB. Ernst Lemmer (CDU), der 3. FDGB-Vorsitzende, wird kaltgestellt. So ergeht es auch den ehemaligen Sozialdemokraten in der Gewerkschaftsführung, die, wenn sie sich nicht der SED unterordnen, im Zuge der Kampagne gegen „Nurgewerkschaftertum“ und „Sozialdemokratismus“ ebenfalls aus ihren Positionen verdrängt werden. Hintergrund dieser „Umbesetzung“: Kritische Geister, die das kommunistische Gesellschaftsmodell nach dem Vorbild der Sowjetunion unter Stalin ablehnen, werden ausgeschaltet.
Die Bemühungen um einen gewerkschaftlichen Zusammenhalt über die Zonengrenzen hinweg finden ihren deutlichsten Ausdruck in den Interzonenkonferenzen der Gewerkschaften aller vier Besatzungszonen. Von Juli 1946 bis Mitte 1948 treffen sich die Gewerkschafter zu mehreren Konferenzen, um den Zusammenhalt der Organisation zu sichern, programmatisch-politische Grundsatzfragen zu klären und die Teilung Deutschlands zu verhindern. In zentralen Fragen der Nachkriegspolitik – vom Problem des Organisationsaufbaus der Gewerkschaften über die Vorstellungen zur Neugestaltung der Wirtschaft bis hin zur politischen Stellung der Gewerkschaften und ihr Verhältnis zu den politischen Parteien – erzielen die Gewerkschaften aller Zonen weit gehende Übereinstimmung.
Beschlüsse der Interzonenkonferenz zur Neugestaltung der Wirtschaft (pdf)
Doch mit der Auseinandersetzung über den Marshallplan und mit dem Auseinanderdriften der Blöcke, deren Grenze mitten durch Deutschland verläuft, greift der beginnende Ost-West-Konflikt auch auf die Gewerkschaftsbewegung über.
Auf der 8. Interzonenkonferenz im Mai 1948 lehnen die Vertreter des FDGB den Marshallplan ab, die der westdeutschen Gewerkschaftsbünde befürworten ihn. Die 9. und letzte Interzonenkonferenz am 17./18. August 1948 scheitert – äußerlich – an der Frage der Beteiligung von Vertretern der Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation (UGO). Letztlich aber enden die Gespräche, weil die Vorstellungen über die künftige Gesellschaftsordnung in Ost und West unvereinbar sind.
Bispinck, Reinhard (Hrsg.: WSI, Tarifarchiv), 70 Jahre Tarifvertragsgesetz. Stationen der Tarifpolitik von 1949 bis 2019, Düsseldorf, April 2019 (Online verfügbar)
Däubler, Wolfgang u. Michael Kittner, Michael, Geschichte der Betriebsverfassung, Frankfurt am Main 2020
Milert, Werner u. Rudolf Tschirbs, Die andere Demokratie. Betriebliche Interessenvertretung in Deutschland 1848 bis 2008, Essen 2012