Erfolge

Die Liste der sozialpolitischen Erfolge der Gewerkschaften ist lang. Einer der Wichtigsten ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Sie wird 1957 nach einem 16-wöchigen Streik in der Metallindustrie auch gesetzlich verankert.

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Erfolge

Egal ob Jugendarbeitsschutz, Vermögensbildung, Mutterschutz oder Elternzeit - an all diesen sozialpolitischen Maßnahmen haben die Gewerkschaften mitgewirkt.

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Misserfolge

Schon Mitte der 80er Jahre werden soziale Leistungen abgebaut. Doch die großen Einschnitte kommen zu Beginn des 21. Jahrhunderts. Die Unterstützung für Arbeitslose wird gekürzt, das Eintrittsalter für die gesetzliche Rente wird von 65 auf 67 Jahre erhöht.

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Den Schutz für Schwache ausbauen

Gewerkschaften und Sozialstaat

Menschenwürdig arbeiten und leben – das ist von je her das zentrale Anliegen der Gewerkschaften. Seit ihrem Bestehen kämpfen sie für höhere Einkommen und kürzere Arbeitszeiten, für mehr Mitbestimmung im Betrieb und die Absicherung von Risiken wie Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter. Sie sind es, die das Modell des demokratischen Sozialstaats mit Leben erfüllt haben.

Der erste große Schritt auf dem Weg zum modernen Sozialstaat sind die Sozialgesetze, die unter Reichskanzler Otto von Bismarck in den 1880er Jahren verabschiedet werden. Bismarck verfolgt damit eine Doppelstrategie: Nachdem er die sozialdemokratische Partei und ihr nahestehende Gewerkschaften durch die Sozialistengesetze ausgeschaltet hat, will er durch einige Sozialversicherungsgesetze der Arbeiterbewegung den Wind aus den Segeln nehmen. Auch die Einrichtung der ersten betrieblichen Arbeiterausschüsse in den Jahren um die Jahrhundertwende ist dem Druck der Arbeiterbewegung zu verdanken. Gleiches gilt für die Schaffung des Arbeitsrechts und der Arbeitsgerichtsbarkeit, die bereits im Kaiserreich auf den Weg gebracht wird.

Doch die ersten sozialpolitischen Verbesserungen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass es unter Kaiser Wilhelm II. um die bürgerlichen Grundrechte schlecht bestellt ist. Erst nach dem Ersten Weltkrieg werden Meinungs- und Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit und das gleiche und geheime Wahlrecht für Männer und Frauen gesetzlich verankert. Gewerkschaften und SPD haben an diesen Errungenschaften einen großen Anteil.

Die Gewerkschaften gehören von Anfang an zu den Befürwortern der parlamentarischen Demokratie, die sie mit der Unterstützung der Wahl zur Nationalversammlung 1918/19 mit aus der Taufe gehoben haben. Das Ziel der Weimarer Reichsverfassung, einen demokratischen Sozialstaat aufzubauen, entspricht den gewerkschaftlichen Vorstellungen.

Weimarer Reichsverfassung 11. August 1919 (pdf)

Mit dem Eintreten für die bürgerlichen Freiheiten und Rechte sichern die Gewerkschaften nicht nur die eigenen Existenz- und Arbeitsbedingungen. Sie leisten damit zugleich einen Beitrag zur Gestaltung einer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Den Gewerkschaften ist klar, dass Demokratie nicht allein eine Frage der politischen Ordnung ist und sein darf, sondern auch die Mitbestimmung in wirtschaftlichen und sozialen Fragen braucht. Sie machen sich daher stark für das Betriebsrätegesetz (1920) und bringen den Sozialstaat, etwa durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (1927) voran. Sie engagieren sich für den sozialen Wohnungsbau und treten mit ihren Programmen zu Mitbestimmung und Mitbesitz sowie Wirtschaftsdemokratie für die gesellschaftliche Absicherung der politischen Demokratie ein.

In den Jahren der Weltwirtschaftskrise wehren sich die Gewerkschaften gegen den Abbau sozialer Leistungen und demokratischer Rechte. Verhindern können sie die katastrophalen sozialen und politischen Folgen der Krise nicht.

Ja zur Sozialen Marktwirtschaft

Mit der Ausweitung der Mitbestimmungsrechte in Betrieb und Unternehmen nach dem Zweiten Weltkrieg leisten die Gewerkschaften einen wichtigen Beitrag zur Verankerung demokratischer Prinzipien in der deutschen Gesellschaft. Sie gestalten die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland mit und tragen so dazu bei, dass der Ausbau des demokratischen Sozialstaats zum verfassungsmäßigen Ziel wird. Und sie stehen immer in der ersten Reihe, wenn es darum geht, den Abbau sozialer und demokratischer Rechte zu verhindern, wie zum Beispiel beim Konflikt um die Notstandsgesetze und um das Asylrecht.

Nach anfänglichen Vorbehalten erkennen die Gewerkschaften die von Ludwig Erhard (CDU) propagierte Soziale Marktwirtschaft an und wirken bei der Ausgestaltung des Sozialsystems mit. Sie setzen 1951 die Einführung der paritätischen Mitbestimmung in der Montanindustrie durch und sie erreichen eine Regelung zur betrieblichen Mitbestimmung, müssen aber die Aufspaltung der Belegschaften in Privatwirtschaft und öffentlichen Dienst durch Betriebsverfassungsgesetz (1952) und Personalvertretungsgesetz (1955) hinnehmen. Sie unterstützen die Einführung der dynamischen Rente, streiken für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter, engagieren sich beim Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und drängen auf eine Bildungspolitik, die Kindern aus Arbeiterfamilien den Zugang zu Bildung und Ausbildung erleichtert. Dabei können sich die Gewerkschaften häufig auf eine breite Koalition von Kirchen, Sozialverbänden und politischen Parteien stützen.

Mit immer neuen Initiativen bemühen sich die Gewerkschaften, die Mitbestimmungsrechte zu erweitern und mit ihrer Tarifpolitik leisten sie einen wichtigen Beitrag zur Ausgestaltung des Sozialstaats. Ganz zu schweigen von den ungezählten Aktionen der Betriebsräte, mit denen die Arbeitsbedingungen in den Unternehmen gestaltet, betriebliche Sozialleistungen erstritten und in Krisenzeiten der Abbau von Arbeitsplätzen verringert oder verhindert wird. In den Aufsichtsräten der großen Unternehmen haben Vertreter der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Sitz und Stimme.

Bis weit in die 1970er Jahre ist diese Politik von Erfolg gekrönt. Es sieht so aus, als könnten Staat und Gewerkschaften den Kapitalismus zähmen. Das Geheimnis des Erfolgs: Es besteht Konsens zwischen den großen gesellschaftlichen Kräften, die Überlegenheit der Sozialen Marktwirtschaft gegenüber der sozialistischen Planwirtschaft zu beweisen.

Neue Herausforderungen

Doch sozial- und gesellschaftspolitische Errungenschaften sind nicht für alle Zeiten gesichert. Das lehrte schon die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre und vor allem die nationalsozialistische Diktatur. Und das belegen die aktuellen Herausforderungen angesichts von Globalisierung und Digitalisierung heute.

Der in den späten 1970er Jahren begonnene Abbau von sozialen Leistungen, der sich mit den „Hartz-Gesetzen“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts zuspitzt, stößt auf den erbitterten Protest der Gewerkschaften. Dabei wenden sich die Gewerkschaften nicht grundsätzlich dagegen, den Sozialstaat an die neuen Herausforderungen anzupassen. Doch sie lehnen es ab, dass die Belastungen allein auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgewälzt werden. Zusammen mit Sozialverbänden, Kirchen und sozialen Bewegungen wehren sie sich speziell gegen die Kürzungen bei Arbeitslosenversicherung, Krankengeld und Renten sowie gegen die Aushöhlung von Arbeitnehmerrechten. Die Erfolge sind bescheiden: Soziale Leistungen werden gekürzt, immer mehr Menschen werden aus den festen Arbeitsverhältnissen gedrängt, prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen zu, die Altersarmut, insbesondere bei Frauen, wächst.

Dennoch: Die Substanz des demokratischen Sozialstaats bleibt erhalten. Die Gewerkschaften können sogar, gegen heftige Widerstände, einzelne Verbesserungen durchsetzen, z.B. die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes.

Der Sozialstaat in Bedrängnis

Dennoch: Globalisierung und der zunehmende Einfluss Europas schränken die Handlungsmöglichkeiten der Nationalstaaten ein, für Gewerkschaften wird es immer schwieriger, den demokratischen Sozialstaat zu gestalten. Die Bankenkrise 2008 zeigt, dass sich ein ungehemmter Finanzkapitalismus entwickelt hat, der mit nationalstaatlichen Instrumenten nicht zu steuern und zu kontrollieren ist. Die zunehmende Verzahnung internationaler Produktions- und Handelsströme begrenzt die Möglichkeiten, auf nationaler Ebene Wirtschafts- und Sozialpolitik zu machen. Da hilft nur ein Schulterschluss der Gewerkschaften weltweit – aber der ist angesichts unterschiedlicher nationaler Interessen nicht so einfach.

Seiten dieses Artikels:

Gewerkschaften und Sozialstaat 
Zeittafel zu den Sozialgesetzen 

 

Gerhard A. Ritter, Der Sozialstaat. Entstehung und Entwicklung im internationalen Vergleich, 3. Aufl., München 2010

Hören: Siegfried Aufhäuser

Der Vorsitzende des Angestellten-Dachverbandes AFA plädiert vor den Reichtstagswahlen 1928 für eine einheitliche Sozialgesetzgebung für Arbeiter und Angestellte.
© AdsD

Zeittafel: Stationen der Sozialgesetzgebung 

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