Ganz anders als in der Bundesrepublik ist der FDGB keine unabhängige Gewerkschaft, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingung kämpfen muss. Der FDGB steht treu zur SED und nimmt sich meist widerspruchslos der Aufgaben an, die ihm von der staatstragenden SED auferlegt werden.
Erste Aufgabe: Die weltanschauliche Erziehung der Massen. In Massenmedien wie der Zeitschrift „Tribüne“, in Ausstellungen und Filmen wird die Ideologie der SED verbreitet, ebenso in den „Schulen der sozialistischen Arbeit“, den Kulturhäusern und Bibliotheken. In zahlreichen Bildungseinrichtungen, u.a. einer eigenen Hochschule, werden Funktionäre fit gemacht für die ideologische Auseinandersetzung mit dem Westen und die Erziehung der Massen.
Zweite Aufgabe: Die Mobilisierung der Arbeitskraft. Nach dem Programm der SED aus dem Jahre 1976 sollen „die Gewerkschaften die Mitglieder der Arbeitskollektive zum Kampf um hohe Leistungen bei der Erfüllung der volkswirtschaftlichen Aufgaben“ motivieren. Der FDGB setzt diese Vorgabe um mit allgegenwärtigen Parolen, Selbstverpflichtungen und zahlreichen Leistungswettbewerben. Er organisiert den „sozialistischen Wettbewerb“ und die „Neurerbewegung“ und fördert leistungsbezogene Lohn- und Prämiensysteme. Er unterstützt die Propaganda für die berufliche Fortbildung und beteiligt sich an der Umsetzung entsprechender Qualifizierungsprogramme.
Dritte Aufgabe: Bereitstellung sozialer Dienstleistungen. Der FDGB ist eine sozialpolitische Betreuungsorganisation mit quasi-öffentlichem Charakter. Einer der größten Bereiche, die der FDGB leitet und verwaltet, ist die Sozialversicherung. Er bietet darüber hinaus aus der „Kasse der gegenseitigen Hilfe“ zusätzliche Eigenleistungen an, z.B. Unterstützungszahlungen bei längerer Krankheit, Sterbegeld und Darlehen für besondere Fälle. Außerdem ist er das größte „Reiseunternehmen“ der DDR: Der FDGB-Feriendienst organisiert Jahr für Jahr rund zwei Millionen Reisen in eigenen oder vertraglich an ihn gebundenen Einrichtungen. Hinzu kommen rund drei Millionen Reisen in betriebliche Einrichtungen. Auch bei der Wohnraumvergabe ist der FDGB eingeschaltet. Die betriebliche Kulturarbeit wird weitgehend vom FDGB organisiert. Dank all dieser Aktivitäten ist die Mitgliedschaft im FDGB also durchaus attraktiv, auch wenn der „Erziehungsauftrag“ immer spürbar ist.
Vierte Aufgabe: Die Wahrnehmung betrieblicher und überbetrieblicher Mitwirkungsrechte. Auf dem Papier hat der FDGB eine Vielzahl von Anhörungs-, Vereinbarungs-, Zustimmungs- und Kontrollrechten. Er kann diese jedoch nicht zur autonomen Interessenvertretung der Arbeitnehmer nutzen, sondern ist eingebunden in ein festes System betrieblicher und volkswirtschaftlicher Planung. Da der FDGB zu keiner Zeit versucht, seinen Handlungsspielraum auszuweiten, trägt er mit dazu bei, dass er als Teil des Herrschaftssystems der SED wahrgenommen wird.
Bei der Wahrnehmung dieser vielfältigen Aufgaben bleibt der FDGB und alle seine Gliederungen der SED nachgeordnet. Sie fasst die politischen Beschlüsse, der FDGB setzt sie in den Betrieben um. Das bringt ihn zwangläufig in ein Dilemma: Er soll im Auftrag der Partei zu Leistungssteigerung motivieren und gleichzeitig die Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter vertreten. Und im Zweifel entscheidet sich die FDGB-Führung immer für die Treue zur Partei. Damit büßt er einen Teil seiner Integrationskraft ein. So wird der FDGB von der SED- und Staatsführung auch immer wieder für Loyalitätsdefizite in der Bevölkerung verantwortlich gemacht. Er habe es versäumt, so der Vorwurf, sich ausreichend um die Verbesserung des Lebensstandards zu kümmern.
Allgegenwärtig: Die Propaganda für den Sozialismus
Auf Widerwillen, zumindest aber auf Desinteresse, stößt die allgegenwärtige Propaganda. Ob im Betrieb oder auf der Straße, ob in den Medien oder bei den häufigen Kollektivveranstaltungen – die SED und die Massenorganisationen der DDR lassen kaum eine Gelegenheit aus, die Verdienste der eigenen Politik, die „Lehren der Sowjetunion“, die „verbrecherischen Machenschaften der Imperialisten“ und die „helle Zukunft des Sozialismus“ auszumalen. In Reden, Publikationen, Ausstellungen, Kundgebungen und in der Kunst wird die führende Rolle der Arbeiterklasse beschworen. Dabei wird ein Bild „des“ Arbeiters gemalt, das sich an der sozialen Realität der Industrie des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts orientiert.
Gleichzeitig werden die Feindbilder und Bedrohungsszenarien immer wieder neu belebt: Die USA sei ein Aggressor, die Bundesrepublik verfolge imperialistische Ziele usw. Sie sollen die Zustimmung zum DDR-Regime festigen und die Defizite entschuldigen. Doch mit der Entspannungspolitik der Bundesrepublik wird es immer schwieriger, diese Feindbilder aufrechtzuerhalten.
Große Teile der Bevölkerung entziehen sich diesem Dauerbeschuss durch SED und FDGB und schaffen sich ihre privaten Nischen, am Wochenende in der Datsche, im Sommerurlaub in den Ländern des sozialistischen Auslands. Eine politische Bewegung unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen das SED-Regime, entwickelt sich nicht. Das mag auch auf die Integrationsarbeit des FDGB zurückzuführen sein, der eben nicht nur Propaganda für die SED macht, sondern auch dafür sorgt, dass der DDR-Sozialismus erträglich wird.