Alle Gewerkschaften folgen dem Aufruf Kaiser Wilhelm II., schließen sich dem „Burgfrieden“ an und lassen sich in die nationale „Volksgemeinschaft ohne Parteien“ einbinden. Doch die anfängliche Zustimmung der Arbeiterschaft bröckelt je länger der Krieg dauert. Schlechte Nachrichten von der Kriegsfront und knappe Lebensmittel an der Heimatfront treiben die Menschen auf die Straßen.
Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine und die Christlichen Gewerkschaften unterstützen die Kriegspolitik des Deutschen Reiches ohne Wenn und Aber. Problemlos reihen sie sich ein in die nationale Einheitsfront, wie sie von Kaiser Wilhelm II. proklamiert wird, und akzeptieren den „Burgfrieden“ zwischen Staat und Gewerkschaften. Für sie ist der Krieg eine „Bewährungsprobe“, die die „sittliche Erneuerung“ erzwinge (Jahrbuch der christlichen Gewerkschaften Januar 1915).
Überraschend ist, dass auch die Kritik der Freien Gewerkschaften an der Kriegspolitik des Deutschen Reiches verstummt. Schließlich haben Freie Gewerkschaften und die II. Internationale angesichts der Hochrüstung in Europa wiederholt vor dem Ausbruch eines Krieges gewarnt. Als aber am 1. August 1914 das Deutsche Reich die Mobilmachung ausruft, schwenken sie um. Aus patriotischem Pflichtbewusstsein bekennen sie sich zum „Burgfrieden“ und verzichten bis auf Weiteres auf jede Form von sozialen Auseinandersetzung. Im Gegenzug erhoffen sie sich von Staat und Arbeitgebern Zugeständnisse zu längst überfälligen sozialen Reformen.
Doch die sozialen Reformen bleiben aus und die Begeisterung in der Bevölkerung für den Krieg schwindet. Nicht nur wegen der schlechten Nachrichten von der Front, sondern auch weil sich die Versorgungslage schon wenige Monate nach Kriegsbeginn deutlich verschlechtert. Bereits im Januar 1915 müssen in Ballungsgebieten wie Berlin die Lebensmittel rationiert werden.
Diese Entwicklung in den ersten beiden Kriegsjahren trifft die Gewerkschaften schwer: Die Zahl der Mitglieder sinkt dramatisch und das Gewerkschaftsleben kommt fast völlig zum Erliegen.
Zweischneidig: Das Hilfsdienstgesetz
Nachdem Oberste Heeresleitung und andere führende Militärexperten erkannt haben, dass der Krieg nicht gegen die Arbeiterschaft gewonnen werden kann, verabschiedet der Deutsche Reichstag, auch mit den Stimmen der SPD und der Nationalliberalen, das Hilfsdienstgesetz. Damit werden die Gewerkschaften erstmals als offizielle Vertreter der Arbeiterinnen und Arbeiter anerkannt. In kriegswichtigen Betrieben mit mehr als 50 Beschäftigten müssen Arbeiterausschüsse, in Betrieben mit mehr als 50 Angestellten müssen Angestelltenausschüsse gebildet werden. Darüber hinaus werden Gewerkschafter in Schlichtungsausschüsse, Schieds- und Einigungsämter berufen, um in Konfliktfällen gemeinsam mit Arbeitgebern und staatlichen Einrichtungen für Lösungen zu suchen.
Doch der eigentliche Zweck des Hilfsdienstgesetzes ist es, die Produktion in der Rüstungsindustrie anzukurbeln und den Bedarf des Militärs an Soldaten zu decken. Um das zu erreichen, werden wichtige Rechte der Arbeiter außer Kraft gesetzt: Jeder männliche Deutsche zwischen dem 17. und dem 60. Lebensjahr ist gezwungen, eine Arbeit aufzunehmen, soweit er nicht zum Militärdienst eingezogen ist. Die Wahlfreiheit, wo jemand arbeiten will, wird aufgehoben und der Wechsel des Arbeitsplatzes ist nur noch mit Genehmigung eines paritätisch besetzten Schlichtungsausschusses möglich.
Spaltung der Arbeiterbewegung
Die Gewerkschaftsvorstände feiern das Hilfsdienstgesetz als Erfolg, haben sie doch erstmals ein echtes Mitwirkungsrecht und den legalen Zugang zu den Großbetrieben. Sie gehen davon aus, dass sich dies positiv auf die Mitgliederentwicklung auswirken wird. Eine Erwartung, die sich bewahrheiten soll.
Die Kehrseite: Die Gewerkschaften werden noch stärker in die Politik des Kaiserreiches eingebunden. Kein Wunder, dass sie auch schon bald mitverantwortlich gemacht werden für Versorgungsengpässe und die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen in den Betrieben. Als es 1916 zu den Hungerunruhen und Streiks kommt, richtet sich der Protest nicht nur gegen die Regierung, sondern auch gegen die Gewerkschaften.
In der zweiten Kriegshälfte verschärft sich der Konflikt zwischen Basis und Führung – in der Sozialdemokratischen Partei und in den Gewerkschaften. Nachdem Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere Mitglieder der sozialdemokratischen Fraktion gegen eine weitere Bewilligung von Kriegskredite gestimmt haben, gründen sie 1917 die Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USDP). Die Führung der Freien Gewerkschaften aber unterstützt die Mehrheit in der SPD-Fraktion und tritt für eine konsequente Ausgrenzung der „Abweichler“ ein.
Doch der Widerstand in den eigenen Reihen wächst. Aktive Gewerkschafter, vor allem im Deutschen Metallarbeiterverband, sympathisieren mit der USDP oder treten ihr bei. Und die Proteste und Streiks gegen Hunger und Not nehmen zu.
Am 29. September 1918 gesteht die Oberste Heeresleitung ein, dass der Krieg nicht mehr gewonnen werden kann. Sie fordert Verhandlungen über einen sofortigen Waffenstillstand. Anfang Oktober übernimmt Prinz Max von Baden die Regierung, einige Reformen werden auf den Weg gebracht. Ziel ist es erneut, die Gewerkschaften und die mit ihnen verbundenen Parteien einzubinden und der radikalen Massenbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Die Rechnung geht nicht auf: Die Revolution bricht aus, der Kaiser muss abdanken. Der Weg für eine parlamentarische Republik ist frei.