Schon auf dem Breslauer ADGB-Kongress 1925 wird die Frage der Wirtschaftsdemokratie angesprochen. Hermann Jäckel, der Vorsitzende des Deutschen Textilarbeiterverbandes, wendet sich gegen die Illusion eines harmonischen Zusammenwirkens von Unternehmern und Arbeitern.
Er betont, die Demokratisierung der Wirtschaft sei „eine Phase der kapitalistischen Wirtschaft selbst”, sie kennzeichne jedoch eine „Periode des Übergangs zu höheren Formen der Wirtschaftsordnung”. Brechung des Bildungsprivilegs der Besitzenden, Stärkung des Einflusses der Gewerkschaften in Politik und öffentlichen Unternehmen sowie Ausbau der Gewerkschaftsbeteiligung in den Gremien der wirtschaftlichen Selbstverwaltung – das sind die Kernforderungen Jäckels, durch deren Verwirklichung die „gewerkschaftlich organisierte Arbeiterschaft zum gleichberechtigten Faktor innerhalb der Wirtschaft” werden soll.
Das Programm der Wirtschaftsdemokratie
Zu einem Programm werden diese Ideen aber erst durch die Arbeit einer vom Bundesvorstand des ADGB berufenen Kommission, deren wohl prominenteste Mitglieder Fritz Baade, Rudolf Hilferding, Erik Nölting und Hugo Sinzheimer sind. Das Ergebnis der Kommissionsberatungen legt Fritz Naphtali, der Leiter der Forschungsstelle für Wirtschaftspolitik, dem Hamburger ADGB-Kongress 1928 nicht nur in Buchform vor. Er hält auch das Referat über „Die Verwirklichung der Wirtschaftsdemokratie“. Darin geht er von dem Grundsatz aus, dass die 1918 errungene politische Demokratie der Ergänzung und Absicherung durch die Demokratisierung der Wirtschaft bedürfe. Demokratische Wirtschaft und Sozialismus als Endziel seien untrennbar miteinander verbunden. Man könne und müsse jetzt schon mit einer schrittweisen Demokratisierung der Wirtschaft beginnen. Dies gelte umso mehr, als der Kapitalismus „bevor er gebrochen wird, auch gebogen werden” könne.
Damit werden die theoretischen Vorgaben Hilferdings über das demokratische Potenzial in der Entwicklung zum „organisierten Kapitalismus“ aufgenommen. Mit der in Hamburg verabschiedeten Resolution ist ein Bündel von Maßnahmen vorgesehen, denen das Ziel gemeinsam ist, in die zentralen wirtschaftlichen Entscheidungen einzugreifen. Die betriebliche Ebene bleibt demgegenüber deutlich unterbelichtet. Auch sollen sich bald die Folgen eines Verzichts auf die Diskussion von Maßnahmen zur Durchsetzung der Wirtschaftsdemokratie gegen den zu erwartenden Widerstand der Arbeitgeber zeigen.
Zwar bemängeln einige Delegierte des Hamburger Kongresses, die Aussagen Naphtalis enthielten eine, vom Wahlsieg der SPD wohl noch begünstigte überaus optimistische Einschätzung der Rolle des Staates bei der Realisierung der gewerkschaftlichen Demokratisierungsvorstellungen. Doch die überwältigende Mehrheit des Kongresses bekennt sich zum „Hamburger Modell” der Wirtschaftsdemokratie.
Reaktionen
Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten: Das Konzept der Wirtschaftsdemokratie wird von den Arbeitgebern zum Anlass einer groß angelegten publizistischen Auseinandersetzung mit den Gewerkschaften gemacht. So werden die Reden und Stellungnahmen der 9. Mitgliederversammlung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie (RDI) in einem Sammelband mit dem Titel: „Das Problem der Wirtschaftsdemokratie” publiziert. Die Wirtschaftsdemokratie-Forderung wird als Ausdruck gewerkschaftlicher Allmachtbestrebungen angeprangert. Kollektivismus und Sozialismus und nun auch Wirtschaftsdemokratie vollenden – so am knappsten der Industrielle Emil Kirdorf – den „Untergang des Deutschtums”.
Die Schärfe, mit der Unternehmer auf die Forderungen der Freien Gewerkschaften reagieren, mag den Gewerkschaftern das Gefühl gegeben haben, sie seien mit ihrer Politik bereits an die Grenzen des Machbaren vorgedrungen. So bescheinigen sich die Freien Gewerkschaften, namentlich Fritz Naphtali, unter Hinweis auf die unternehmerischen Stellungnahmen die eigene politische Radikalität und integrieren damit einen Teil der innerorganisatorischen Oppositionsgruppen.
Die Kritik der KPD, für die Walter Ulbricht vor „wirtschaftsdemokratischen Illusionen” warnt, wird damit allerdings nicht eingedämmt. Auch die organisatorische Verselbstständigung kommunistischer Gewerkschafter in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition bzw. -organisation (RGO) lässt sich damit nicht verhindern.