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Die Zerschlagung der Gewerkschaften
Über die Ereignisse am 2. Mai 1933. (Ausschnitte ca. 9 Min.)
© Hans-Böckler-Stiftung
Ein Aufruf zur Besonnenheit: „Organisation – nicht Demonstration: Das ist die Parole der Stunde”. So bringt Theodor Leipart am 31. Januar 1933 im Bundesausschuss des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) die Politik der Freien Gewerkschaften auf den Punkt. Der Vorstand der Christlichen Gewerkschaften bedauert die „folgenschwere Entscheidung” Reichspräsident Hindenburgs, das „Kabinett der Harzburger Front” unter der Führung Hitlers zu bestätigen. In einer gemeinsamen Erklärung stellen die Gewerkschaften fest: „Um Angriffe gegen Verfassung und Volksrechte im Ernstfall wirksam abzuwehren, ist kühles Blut und Besonnenheit erstes Gebot. Laßt euch nicht zu voreiligen und darum schädlichen Einzelaktionen verleiten.”

Letzte Kundgebung des Reichsbanners auf dem Klagemarkt in Hannover, 26. Februar 1933
© AdsD/A099790)
Mit diesen Mahnungen zur Disziplin soll dem Aufruf der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zum Generalstreik der Wind aus den Segeln genommen werden. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und Freie Gewerkschaften lehnen die kommunistische Forderung nach Bildung einer „Einheitsfront“ nahezu einmütig ab. Sie sehen darin den Versuch, die sozialdemokratische Arbeiterschaft von ihren Organisationen zu entfremden. Allerdings wäre der Aufruf zum Generalstreik wohl auch ohne die gewerkschaftliche Zurückhaltung nur vereinzelt befolgt worden.
Warum sich die Freien Gewerkschaften entschieden von den „unentwegten Generalstreiktheoretikern” abgrenzen, begründet der stellvertretende ADGB-Vorsitzende, Peter Graßmann, beim Führerappell der Eisernen Front, eines Zusammenschlusses sozialdemokratischer Organisationen, am 13. Februar 1933, so: „Der Generalstreik ist eine furchtbare Waffe nicht nur für den Gegner; ihn veranlassen und verantworten kann man nur, wenn es gar nicht mehr anders geht, wenn es sich um Leben und Sterben der Arbeiterklasse handelt.”
Offenbar schätzen die Führungen von SPD und Gewerkschaften die Lage im Frühjahr 1933 nicht als derart dramatisch ein, dass die von Graßmann genannten Voraussetzungen für einen Generalstreik gegeben seien. Und sie sehen keine realistische Möglichkeit, das nationalsozialistische Regime erfolgreich zu bekämpfen.
Spaltung der Arbeiterbewegung
Außerdem ist die Arbeiterbewegung keineswegs zu geschlossenem Handeln fähig. So zeigen sich deutliche Polarisierungstendenzen in der Gewerkschaftsbewegung: Die gemeinsame Stellungnahme der Richtungsgewerkschaften zu Hitlers Regierungsantritt unterzeichnen der ADGB und die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA-Bund), der liberale Gewerkschaftsring deutscher Arbeiter-, Angestellten- und Beamtenverbände und der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften.
Nicht unterzeichnet wird die Stellungnahme vom christlich-nationalen Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband (DHV), der Hitler zur Ernennung als Reichskanzler gratuliert, verhindert eine kritische Stellungnahme des DGB. Wenige Wochen später schaltet sich der DHV freiwillig gleich. Bereits im April 1933 ist der christlich-nationale DGB damit organisatorisch zerbrochen.
Die tiefe Spaltung zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten wird nicht überwunden. Die Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) beharrt auf ihrem eigenen Weg, der aufs engste mit der Politik der KPD verwoben ist. Obwohl die Mitgliedschaft dramatisch zurückgeht und nicht wenige RGO-Mitglieder zur Nationalsozialistischen Betriebszellen-Organisation (NSBO) übertreten, versucht die RGO immer wieder eine Organisation im Untergrund aufzubauen.
Zur Anpassung bereit
Noch im Februar und März 1933 versuchen sich die Freien Gewerkschaften, sich als „Schule der Verantwortung” für ein Volk, das sich seines „Rechts auf nationale Selbstbestimmung” bewusst ist, zu inszenieren. Sie hoffen, die Nationalsozialisten würden diese Anpassungsbereitschaft honorieren. Mit diesem Ziel ruft Theodor Leipart die „Leistungen der Gewerkschaften für Volk und Staat” in Erinnerung. Und Lothar Erdmann, Chefredakteur der „Arbeit” und Vertrauter Leiparts, bemüht sich, durch die Ablehnung internationalistischer Tendenzen zur ideologischen Versöhnung von „Nation, Gewerkschaften und Sozialismus” beizutragen.
Von ihrer Politik des „kühlen Bluts” lassen sich die Gewerkschaften auch nicht durch den Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 abbringen. Er sei ein „Angriff gegen den Parlamentarismus überhaupt”, erklären die Freien Gewerkschaften.
Auf den gewerkschaftlichen Kundgebungen dieser Wochen ist dennoch viel von „Kampf” und „Kampfbereitschaft” die Rede. Doch gedacht ist, trotz der Einschränkung der Grundrechte durch die „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“, vor allem an „Wahlkampf”. Einmal mehr setzen die Gewerkschaften, auch die Christlichen, alle Hoffnungen auf das Votum der Wähler.
Erste Terroraktionen gegen die Gewerkschaften
In den Wahlen vom 5. März 1933 verfehlt die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) zwar die absolute Mehrheit, kann aber nach deutlichen Zugewinnen die Koalitionsregierung fortführen. Die Gewerkschaften müssen erkennen, dass Hitlers Regierung nicht nur ein kurzes Zwischenspiel ist. Dennoch überwiegt noch immer die Hoffnung, es werde schon nicht so „schlimm” kommen – jedenfalls nicht schlimmer als unter dem Sozialistengesetz (1878).
Was für eine Feheinschätzung: Noch im März kommt es zu blutigen Terroranschlägen gegen die Gewerkschaften. Allein am 13. März gehen beim ADGB-Vorstand Schreckensmeldungen aus über 20 Orten ein.
Ein Umdenken bewirken die Überfälle und Gewalttaten nicht. Die Proteste sind zaghaft, Beschwerden zum Beispiel bei Reichspräsident Hindenburg sind eher von vorwurfsvollen Unschuldsbeteuerungen geprägt. Gleichzeitig unterstreichen die Gewerkschaften immer wieder ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit der Regierung, wenn diese das „Fußvolk” im Zaum hielte.