Es wird ungemütlich für Gewerkschaften. Schon die Regierung Schmidt läutet angesichts der Wirtschaftskrise die ersten Sparmaßnahmen ein. Unter Helmut Kohl setzt sich dann endgültig die von den Arbeitgebern eingeforderte neo-liberale Politik durch. Soziale Leistungen werden weiter zurückgefahren, Regelungen, die angeblich den Spielraum der Unternehmer einschränken, aufgeweicht. In der Regierung haben die Gewerkschaften keine Verbündeten mehr.
Aber auch in der Bevölkerung schwindet das Vertrauen. Die Vorstände des DGB und seiner Einzelgewerkschaften stehen in dem Ruf „abgehoben“ zu sein und an den Bedürfnissen der Mitglieder vorbei zu agieren. Ihre Skepsis gegenüber den neuen sozialen Bewegungen trägt auch nicht dazu bei, das Image aufzupolieren. Die Gewerkschaften laufen Gefahr, sich ins politische Abseits zu manövrieren.
In der Tat fehlt es den Gewerkschaften Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre an politischem Profil. Man mag es ihnen vorhalten, aber auf die Probleme, die auf der Tagesordnung stehen, gibt es keine einfachen Antworten. Die neuen elektronischen Technologien verändern die Arbeitswelt von Grund auf, die zunehmende europäische und internationale Verflechtung der Wirtschaft erschwert es, auf die Arbeitsmarktpolitik Einfluss zu nehmen. Die Umweltbewegung fordert den Ausstieg aus der Kernenergie, die Gewerkschaften haben aber auch die Interessen der Arbeitnehmer in dieser Branche zu vertreten. Die Kritik der autonomen Frauenbewegung an patriarchalischen Organisationen macht auch vor den Gewerkschaften nicht Halt.
Mit dem Grundsatzprogramm vom März 1981 arbeiten der DGB und seine Einzelgewerkschaften einige Defizite auf. Sie setzen neue Akzente, insbesondere in der Umweltpolitik und Friedenspolitik, und nehmen sich vor, die Frauen-, Jugend- und Angestelltenarbeit auszubauen. In dem Positionspapier „Umweltschutz und qualitatives Wachstum” vom März 1985 konkretisiert der DGB seine Vorstellungen, wie Arbeitsmarktpolitik und Umweltschutz harmonisiert werden können. So fordert er unter anderem zur Schaffung von Arbeitsplätzen Investitionsprogramme in den Bereichen Energie, Verkehr, Wohnungs- und Städtebau sowie Forschung und Technologie.
Tarifpolitik bleibt Aufgabe Nr. 1
Die Öffnung für neue Themen und damit auch neue gesellschaftliche Bewegungen heißt aber nicht, dass traditionelle Forderungen, wie das Recht auf Arbeit, Humanisierung der Arbeitswelt, gerechte Einkommens- und Vermögensverteilung und die Kontrolle wirtschaftlicher Macht auf der Stecke bleiben. Sowohl die Auseinandersetzung um die Mitbestimmung als auch der Kampf um höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen bleiben in den 1970er und 1980er Jahren auf der Tagesordnung. Und auf diesen Feldern können die Gewerkschaften, trotz der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen, einiges erreichen.
Die heftigsten Konflikte dieser Jahre entzünden sich an der Forderung nach Einführung der 35-Stunden-Woche, für die IG Metall und IG Druck und Papier bereits 1978 antreten. Doch erst 1984, nach einem siebenwöchigen Streik, gelingt es, das Tabu der Arbeitgeber zu brechen und eine Verkürzung der wöchentlichen Arbeitszeit auf 38,5 Stunden durchzusetzen. Danach sind weitere Kämpfe notwendig bis schließlich, Ende der 1980er Jahre, die stufenweise Verkürzung auf 35 Stunden erreicht ist.
Aber auch die Lohnrunden führen immer wieder zu harten Auseinandersetzungen. Ebenso die Bemühungen einiger Gewerkschaften, die Beschäftigten vor den Folgen der Rationalisierung zu schützen. Und wenn es zum Streik kommt, dann greifen die Arbeitgeber oftmals zum Mittel der Aussperrung. So fallen zum Beispiel im Jahr 1984 mehr Arbeitstage durch Aussperrung als durch Streik aus.
Die Bilanz der Gewerkschaften in Sachen Tarifpolitik kann sich aber sehen lassen. Die Einkommen sind stabil und die Arbeitszeit wird verkürzt. Allerdings: Eine deutlichere Anhebung der Löhne, um die Massenkaufkraft zu stärken und die Wirtschaft anzukurbeln, gelingt den Gewerkschaften nicht. Sie beschränken sich darauf, den Preisanstieg auszugleichen und dadurch den Lebensstandard zu sichern.
Politisch in der Defensive
Doch trotz dieser Erfolge bleiben die Gewerkschaften in der Defensive. Schon das Mitbestimmungsgesetz 1976 zeigt den begrenzten politischen Einfluss der Gewerkschaften. Und auch die Sparpolitik der Regierung Schmidt wird gegen den Protest der Gewerkschaften durchgeführt. Rigoros setzt dann die Kohl-Regierung ihre Politik durch. Die Arbeitslosenunterstützung wird gekürzt, der Kündigungsschutz aufgeweicht und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verschlechtert. Öffentliche Unternehmen, wie Lufthansa und Post werden verkauft oder zum Teil privatisiert. Die Steuerreform aus dem Jahr 1985 entlastet Unternehmen, nicht aber Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit unteren und mittleren Einkommen.
Die Reform des Betriebsverfassungsgesetzes stärkt nicht die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte, sondern erleichtert kleineren Gewerkschaften den Zugang zum Betriebsrat. Die von den Gewerkschaften geforderte paritätische Mitbestimmung liegt auf Eis – trotz einer neuen Kampagne des DGB Mitte der 1980er Jahre.
Mit heftigen Protestaktionen reagieren die Gewerkschaften auf die geplante Änderung des Paragraphen 116 des Arbeitsförderungsgesetzes. Die Regierung will damit unterbinden, dass „kalt” ausgesperrte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld beziehen. Die Gesetzesänderung wird dennoch verabschiedet und tritt am 1. Mai 1986 in Kraft.
Mitgliederentwicklung
Bescheidene Erfolge in der Tarifpolitik, zahlreiche Niederlagen auf der politischen Bühne und der Dauerbeschuss der Medien auf die „abgehoben, weltfremden“ Funktionäre – das alles macht die Gewerkschaften nicht gerade attraktiv. Auch der Skandal um das gewerkschaftseigene Wohnungsunternehmen Neue Heimat, der 1982 monatelang für Schlagzeilen sorgt, richtet einen verheerenden Imageschaden an. Das zeigt sich auch in der Mitgliederentwicklung. Bis 1981 legen die DGB-Gewerkschaften zu und erreichen mit 7,9 Millionen Mitgliedern ihren vorläufigen Höchststand. 1984 sind es „nur” noch 7,6 Millionen, 1988 stabilisiert sich die Entwicklung bei 7,7 Millionen Mitgliedern.
Erst nach der Wiedervereinigung im Jahre 1990 gehen die Zahlen wieder nach oben. Aber nicht, weil die Gewerkschaften plötzlich viele Mitglieder in den alten Bundesländern gewinnen, sondern weil sich ein Teil der Gewerkschaftsmitglieder im Osten den DGB-Gewerkschaften anschließt.