Auf der europäischen Ebene konzentriert sich die Gewerkschaftspolitik auf gegenseitige Information und auf gemeinsame programmatische Erklärungen zu Fragen der sozialen Entwicklung in Europa, der Menschenrechte, speziell der Rechte zur Gewerkschaftsarbeit und der Rechte von Frauen, ebenso wie zu den Folgen der Unterentwicklung.
Die Palette der Forderungen reicht von der Verkürzung der Arbeitszeit über die Mitsprache bei technologischen Änderungen bis hin zur Planung der Industrie- und Strukturpolitik speziell durch öffentliche Investitionen auf den Gebieten der Energieeinsparung, des Umweltschutzes und der wissenschaftlichen Forschung. Auch die Hilfe für Entwicklungsländer, vor allem durch den Ausbau der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen, gehört zu den Forderungen des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB).
Doch es gelingt den Gewerkschaften seit den 1990er Jahren nur in Ansätzen, ihre Forderungen nach Schaffung eines „Sozialen Europa” rechtsverbindlich umzusetzen. Zwar wird im Dezember 1989 von den Staats- und Regierungschefs – mit Ausnahme Großbritanniens – eine „Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer” verabschiedet, die ein „politisches Signal” für die Arbeitnehmer in Europa setzen soll. Für den EGB ist das aber „nur” eine unverbindliche Absichtserklärung. Dennoch versucht er in den folgenden Jahren, diesen Rahmen durch einen „sozialen Dialog” auszufüllen.
Die Gewerkschaften haben dem Projekt der Europäischen Währungsunion zugestimmt, obwohl bei den Teilnahmebedingungen von Schuldensenkung und Inflationsbekämpfung, nicht aber von Bekämpfung der Arbeitslosigkeit die Rede ist. In der Folgezeit berufen sie sich immer wieder auf das sozialpolitische Zusatzprotokoll des Vertrages von Maastricht, um den Sozialen Dialog in Europa voranzubringen, über dessen Notwendigkeit sich die Gewerkschaften angesichts der zunehmenden Verlagerung von Kompetenzen auf die europäische Ebene klar sind. Sie wollen nicht nur den Informationsaustausch mit europäischen Partnergewerkschaften intensivieren, sondern auch den Dialog mit den Arbeitgebern.
Insgesamt zeichnet sich seit den 1990er Jahren kaum eine Verstärkung des sozialen Elements im Prozess der europäischen Einigung ab. Zwar stimmt Mitte Januar 1995 das Europäische Parlament dem Weißbuch der Kommission über die „Europäische Sozialpolitik” zu, in dem den Mitgliedsländern zur Schaffung neuer Arbeitsplätze die Flexibilisierung der Arbeitszeit, die Senkung der Lohnnebenkosten, die Verbesserung der Aus- und Fortbildung und die Chancengleichheit von Mann und Frau empfohlen wird. Nur in der Mitbestimmungsfrage zeigen sich ab Mitte der 1990er Jahre mehrere Initiativen, mit denen der Rahmen einer europäischen Regelung in Betrieb und Unternehmen abgesteckt wird. Doch Europa entwickelt sich in den 1990er Jahren weitgehend zu einer Deregulierungs-Gemeinschaft. Die nationale Regulierungskompetenz ist weitgehend an die EU abgetreten und die gibt marktwirtschaftlichen Konzepten den Vorrang.
Die Gewerkschaften sind auf dieser Ebene nur schwach vertreten. Mit Monika Wulf-Mathies, bis zu ihrem Amtsantritt in Brüssel ÖTV-Vorsitzende, stellen sie zwar jahrelang eine EU-Kommissarin, doch arbeitsmarkt- und sozialpolitische Impulse in dem von den deutschen Gewerkschaften erhofften Sinne vermag auch sie nur in begrenztem Ausmaße zu geben.
Dazu: Zeitzeugen-Interview mit Monika Wulf-Mathies
Festzuhalten ist: Die deutschen Gewerkschaften haben frühzeitig – schon unter der Führung von Ludwig Rosenberg – das Projekt der europäischen Vereinigung unterstützt. Sie haben bald – vor allem unter der Leitung von Ernst Breit, Michael Sommer und Reiner Hoffmann – die Europapolitik als Querschnittsaufgabe akzeptiert, die in nahezu alle Bereiche ihrer eigenen Arbeit eingreift und als Gestaltungsrahmen berücksichtigt und dementsprechend mitgestaltet werden muss. Und sie wirken darauf hin, die Zusammenarbeit der Gewerkschaften auf der europäischen Ebene zu stärken.