Was immer die SED-Staatsführung verlangt, der FDGB führt es aus: Er bejubelt den Aufbau des Sozialismus und setzt alles daran, die Produktivität der DDR-Wirtschaft zu steigern. Er ist mitverantwortlich für die „moralische“ Erziehung der Werktätigen und gibt sich dafür her, die Jugend „wehrpolitisch zu ertüchtigen“.
Doch unabhängig und frei, wie die Gewerkschaften im Westen, ist der FDGB nicht. Obwohl dies in der Verfassung aus dem Jahre 1968 ausdrücklich niedergeschrieben ist. Doch die politische Realität sieht anders aus. Ob aus Überzeugung oder weil er keine andere Wahl hat: Der FDGB ordnet sich unter und setzt die Vorgaben der Partei- und Staatsführung um. Und es vergehen kein FDGB-Kongress und kein SED-Parteitag, auf dem man sich nicht gegenseitig und immer wieder die „ewige Treue“ schwört.
Oberstes Ziel des FDGB ist, wie das der SED: die Steigerung von Produktion und Produktivität. Mit großem Propagandaaufwand, ungezählten sozialistischen Wettbewerben und finanziellen Leistungsanreizen will man die Wirtschaft auf Vordermann bringen, um gegen die Konkurrenz im kapitalistischen Ausland zu bestehen. Gleichzeitig durchlaufen Hunderttausende die FDGB-Schulungen, in denen sie gegen die „ideologische Verführung“ aus dem Westen gewappnet werden. Der FDGB ist, so sein Vorsitzender Herbert Warnke auf dem 6. FDGB-Kongress im November 1963, die „Schule des Sozialismus“. Seine Aufgabe sei, „das sozialistische Bewusstseins der ganzen Klasse“ zu heben und „die schöpferischen Kräfte aller Werktätigen in die aktive Teilnahme am Aufbau des Sozialismus“ einzubeziehen.
Vielseitige Aufgaben
Doch man tut dem FDGB unrecht, wenn man ihn nur auf seine Funktion als „Erziehungsanstalt“ reduziert. Auch wenn er nie gegen die SED aufmuckt, so trägt er dennoch dazu bei, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern. Die Arbeitszeit wird verkürzt, der Urlaub verlängert und die Einkommen steigen. Und das kulturelle Leben in der DDR wird vielfältiger. Der FDGB organisiert Betriebsfestspiele, Ausstellungen und Konzerte. Dabei erfreuen sich die eher volkstümlichen Veranstaltungen, besonderer Beliebtheit.
Das „Neue Ökonomische System der Planung und Leitung“ (NÖS), das 1963 eingeführt, um die Produktivität weiter zu erhöhen, eröffnet dem FDGB neue Spielräume. Er soll die Führungskräfte im Betrieb stärker kontrollieren und dafür sorgen, dass trotz Vorrang für die Produktion die Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht auf der Strecke bleibt.
Die neuen Aufgaben entfachen eine lebhafte Debatte über das Selbstverständnis des FDGB. Die einen plädieren dafür, die sozialpolitischen Belange der Arbeitnehmer nun offensiv gegenüber den Unternehmensleitungen zu vertreten. Andere beharren darauf, dass die Interessen von Staat, Wirtschaft und Belegschaft in einem sozialistischen Staat identisch seien. Die Debatte endet schnell – es bleibt beim Schulterschluss mit der SED.
Kontakte in den Westen
Bereits Mitte der 1960er Jahre versucht der FDGB Kontakt zu Einzelgewerkschaften im Westen aufzunehmen. Sein Augenmerk gilt insbesondere der IG Druck und Papier und der IG Metall, weil man dort Ansprechpartner vermutet, die der Gesellschaftsordnung der DDR nahestehen. Kontakte auf Vorstandsebene entwickeln sich erst im Zuge der Neuen Ostpolitik. Ein erstes Treffen mit dem DGB findet im Oktober 1972 in Ost-Berlin, ein zweites im März 1973 in Düsseldorf statt. Doch wie die SED so befürchtet auch der FDGB, die Neue Ostpolitik gefährde das Klassenbewusstsein in der DDR. Um diesen „negativen“ Einflüssen entgegenzuwirken, intensiviert er seine politisch-ideologische Schulungen.
Organisationsentwicklung des FDGB
Die Mitgliederentwicklung des FDGB ist gut. Er wächst von 6,4 Millionen Mitglieder im Jahr 1963 (davon 2,85 Millionen Frauen) auf 7,3 Millionen im Jahr 1972 (davon 3,58 Millionen Frauen).
1,6 Millionen Mitglieder nehmen ein Ehrenamt wahr (1963). Auch wenn diese Zahl nichts über das demokratische Leben innerhalb des FDGB aussagt, so deutet sie doch darauf hin, dass die Bereitschaft, sich aktiv an der Gewerkschaftsarbeit zu beteiligen, hoch ist.
Beachtlich ist auch die Zahl der Vorstandmitglieder an der Spitze des FDGB: Auf dem 6. FDGB-Kongress im November 1963 wird der Bundesvorstand von 199 auf 233 Mitglieder vergrößert. Das Sekretariat, das die politischen Entscheidungen vorbereitet, wird von neun auf sechs Mitglieder verkleinert. Alle Mitglieder des Sekretariats haben das SED-Parteibuch.
Auf dem 7. FDGB-Kongress im Mai 1968 wird mit Johanna Töpfer erstmals eine Frau zur Stellvertretenden FDGB-Vorsitzenden gewählt.