Heimarbeit: Arbeitsstube eines Zwischenmeisters für Blusen, um 1910 ©AdsD/B000907
1890-1914
Wilhelminisches Kaiserreich

Wirtschaftliche Entwicklung

Die Macht der Kartelle wächst

Nach Jahren der Depression zeichnet sich Mitte der 1890er Jahre endlich ein wirtschaftlicher Aufschwung ab. Kohlebergbau, Eisen- und Stahlproduktion boomen, der Maschinenbau, die elektrotechnische und die chemische Industrie erlangen Weltgeltung. Doch der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Aufschwungs ist die Rüstungsindustrie.

Kanonen-Auslieferung im Krupp-Grusonwerk, um 1890

© AdsD/B004876

Der Konzentrationsprozess schreitet voran: Immer mehr Arbeiter und Arbeiterinnen in der Industrie sind in Großbetrieben beschäftigt, Zahl und Macht der Kartelle nehmen zu: 1893 wird das Rheinisch-Westfälische Steinkohlensyndikat gegründet. Dieser gemeinschaftlichen Verkaufsorganisation gehören um 1910 fast alle Zechen des Ruhrreviers an. 1897 schließen sich die Hütten zum Rheinisch-Westfälischen Roheisen-Syndikat zusammen. Die Elektroindustrie wird von den Branchen-Riesen AEG und Siemens, die chemische Industrie von vier bis fünf Großkonzernen, unter anderem BASF und Hoechst, beherrscht.

Fünf Großbanken – darunter die Deutsche Bank und die Dresdner Bank – verfügen bereits über fast 50 Prozent der Bankeinlagen. Sie üben nicht nur als Kreditgeber, sondern auch als Aktienbesitzer enormen Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung aus. Industrie- und Bank-Kapital beginnen zu verschmelzen – eines der Kennzeichen des Prozesses zur „Organisierung” der kapitalistischen Wirtschaft. Außerdem werden die Großunternehmen zunehmend nicht mehr von den Eigentümern, sondern von angestellten Managern geleitet. Die „Anonymisierung” des Kapitals wird dadurch weiter vorangetrieben, auch wenn nach wie vor der Eigentümer das Bild des Unternehmers prägt.

Unternehmer schließen sich zusammen

Die Unternehmer bauen ihr Verbandswesen in den 1890er Jahren aus. Neben den 1875 gegründeten Centralverband Deutscher Industrieller tritt 1895 der Bund der Industriellen, der die Belange der verarbeitenden Industrie stärker in den Vordergrund stellt. Sichtlich beeindruckt von der großen Solidarität der Arbeiterschaft während des Arbeitskampfes in der Textilindustrie von Crimmitschau 1903/1904 gründen die Arbeitgeber zwei weitere Verbände: die von der Schwerindustrie geprägte Hauptstelle Deutscher Arbeitgeberverbände und den Verein Deutscher Arbeitgeberverbände, in dem die verarbeitende Industrie stärker vertreten ist. 1913 schließen sich beide Organisationen zur Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände zusammen.

Um ihren Führungsanspruch in den Betrieben durchzusetzen, gewerkschaftliche Aktivitäten zu unterbinden und die Arbeiterschaft zu spalten, ist den Arbeitgebern fast jedes Mittel Recht. Sie führen „schwarze” Listen mit den Namen von „Rädelsführern“, sperren auch Arbeiter, die sich nicht an Streikmaßnahmen beteiligen, aus, verhängen Zwangsausweisung von Streikenden und gründen „wirtschaftsfriedlich“ Werkvereinen. Die Mehrheit der Arbeitgeber lehnt es ab, die Gewerkschaften überhaupt anzuhören oder gar mit ihnen zu verhandeln. Die Forderung nach gewerkschaftlicher Mitsprache wird bis weit nach der Jahrhundertwende als unberechtigte Einmischung betriebsfremder Elemente in die privaten Angelegenheiten der Unternehmer empfunden.

Anfänge Betrieblicher Sozialpolitik

In manch großen Firmen wird der unternehmerische Herrschaftsanspruch von ausgeprägtem Patriarchalismus begleitet. Alfred Krupp und Carl Ferdinand von Stumm-Halberg etwa stehen dafür. Sie verbinden Fürsorglichkeit und Führungsanspruch des Arbeitgebers mit der Entmündigung der Arbeiter. 

Beispiel für betriebliche Sozialpolitik: Die Krupp-Werkssiedlung in Rheinhausen

© Fried Krupp, Essen; AdsD/B034761

So werden vor dem Ersten Weltkrieg in einzelnen Großbetrieben erste Arbeitsschutzmaßnahmen ergriffen und Sozialeinrichtungen geschaffen. Das sind die Anfänge der Betrieblichen Sozialpolitik, die sich allerdings erst in den 1920er Jahren weiter entfalten wird. Die extrem ungleiche Verteilung des erwirtschafteten Vermögens wird durch die betriebliche Sozialpolitik nicht verändert.

Verschärfte Ausbeutung

Weder die neuen Arbeitsschutzvorschriften noch die Anfänge der betrieblichen Sozialpolitik verbessern die Arbeitsbedingungen spürbar. Lärm, Dreck und das Zeitdiktat der Arbeitgeber belasten die Gesundheit der Arbeiter und Arbeiterinnen schwer. Die industrielle Produktionsweise unter kapitalistischen Vorzeichen führt zu einer weiteren Verschärfung der Ausbeutung.

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Mächtige Großbetriebe
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