Regierung ohne Mehrheit

Die junge Demokratie unter Druck

In den letzten Jahren der Weimarer Republik sind die Spielregeln einer demokratischen Republik außer Kraft gesetzt. Die Reichskanzler, von Paul von Hindenburg ernannt, regieren ohne parlamentarische Mehrheit, die Gegner der Demokratie von links wie von rechts gewinnen an Boden. Im November 1932 stellt die NSDAP die stärkste Fraktion im Reichstag.

Wahlpropaganda für Paul von Hindenburg in der Wahl 1932

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Mit dem Bruch der Großen Koalition im März 1930 endet die Phase der Regierungen, die sich auf eine parlamentarische Mehrheit stützen können. Daran ändern auch die Reichstagswahlen vom 14. September 1930 nichts. Sie bescheren der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) einen großen Wahlerfolg, die Bildung einer Koalitionsmehrheit aus konservativen, liberalen und sozialistischen Parteien scheitert. Die Mehrheit von KPD und NSDAP blockiert im Reichstag die Rückkehr zu einer vom Parlament gewählten Regierung.

Brüning regiert fortan mit Notverordnungen, die Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung zulassen. Und er betreibt in der Krise eine Deflationspolitik: Mit der Senkung von Löhnen und Preisen versucht er die deutsche Wirtschaft konkurrenzfähig zu machen und den Staatshaushalt auszugleichen. Brüning will damit gegenüber den Gläubigern Deutschlands Zahlungsunfähigkeit unter Beweis stellen, um so eine endgültige Lösung der Reparationsfrage zu erreichen. Er hält an dieser Deflationspolitik fest, obwohl die Forderung nach einer aktiven antizyklischen Arbeitsmarktpolitik immer lauter wird.

Postkarte: Heinrich Brüning

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Die SPD toleriert diese Politik. Sie befürchtet, Neuwahlen würden den radikalen Parteien KPD und NSDAP erneut Zugewinne bringen. Sie hofft noch auf eine Stabilisierung des parlamentarischen Systems, als die Entscheidungen längst auf der Straße und in Hinterzimmern getroffen werden.

Im April 1932 wird Paul von Hindenburg erneut zum Reichspräsidenten gewählt, wenig später entzieht er Brüning das Vertrauen und beauftragt den konservativen Franz von Papen mit der Regierungsbildung. Die Sozialdemokratie hat die Wiederwahl von Hindenburgs unterstützt, um Hitler zu verhindern. Dennoch ist von Hindenburg nicht bereit, eine Regierung mitzutragen, an der die Sozialdemokratie beteiligt ist.

Die Regierung Franz von Papens leitet erste Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen ein. Doch diese fallen zu bescheiden aus, um die Wirtschaft zu beleben und einen Abbau der Arbeitslosigkeit zu bewirken. Die konservativ-autoritäre Grundhaltung von Papens verdeutlicht der „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932: Er setzt die sozialdemokratisch geführte Regierung Preußens ab. Die SPD protestiert, Maßnahmen zur Gegenwehr ergreift sie nicht.

Trotzdem ist von Papens Regierungszeit nur von kurzer Dauer. Im November 1932 entzieht Paul von Hindenburg ihm das Vertrauen und beruft Kurt von Schleicher zum Reichskanzler. Von Schleicher weitet die Arbeitsbeschaffungspolitik aus und versucht, durch die Bildung einer „Gewerkschaftsachse“ quer durch die unterschiedlichen Reichstagsfraktionen seiner Regierung eine parlamentarische Mehrheit zu verschaffen. Der Versuch scheitert.

Am 30. Januar 1933 lässt Hindenburg Kurt von Schleicher fallen und ernennt Adolf Hitler zum Reichskanzler. Die NSDAP ist seit den Reichstagswahlen vom 6. November 1932 die stärkste Partei im Parlament.

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1930 - 1933

Gewerkschaften zwischen den Fronten: Angriffe von rechts wie von links
Tarifpolitik greift immer weniger: Gewerkschaften unterschätzen die Krise
Versuch einer Bilanz: Weimar war kein "Gewerkschaftsstaat"

Themen und Aspekte dieser Epoche:

Vereinigungsdebatte der Liberalen und Freien Gewerkschaften:  Unfähig, die Spaltung zu überwinden
Christliche Gewerkschaften bekennen sich zur Republik
Kurz vor Zwölf: ADGB-Programm für mehr Arbeit
Heutige historische Bewertung: Zum Scheitern der Weimarer Republik 

Verfügbare Statistiken für diese Epoche:
Arbeitslosigkeit, Arbeitszeit, Arbeitskämpfe, Löhne, Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften, Strukturdaten zur Erwerbsbevölkerung.

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Zum Artikel "Vereinigungsdebatte": Ulrich Borsdorf, Hans O. Hemmer u. Martin Martiny (Hrsg.), Grundlagen der Einheitsgewerkschaft. Historische Dokumente und Materialien, Köln u. Frankfurt/M.1977, S.196 ff.

Hören: 
Kurt Schumacher

mit seinem „Appell an den inneren Schweinehund“ im Reichstag 1932 - eine Rede gegen Joseph Goebbels, späterer NS-Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda. Das Bild zeigt Schumacher später in Frankfurt. Den Wortlaut  des Redeausschnitts finden Sie im Archiv der sozialen Demokratie.

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