Debatte um den politischen Streik

Der Konflikt um das Betriebsverfassungsgesetz hat weit reichende Folgen: Um das Streikrecht der Gewerkschaften zu Gunsten eindeutig politischer, d. h. an den Gesetzgeber gestellter, Forderungen entbrennt eine scharfe juristische Kontroverse. Die Hauptkontrahenten sind: Joseph Kaiser, Erich Forsthoff und Hans Carl Nipperdey einerseits und Wolfgang Abendroth andererseits.

Während die einen im politischen Streik einen Angriff von gewerkschaftlichen Minderheits- bzw. Sonderinteressen gegen den das Gemeinwohl vertretenden Staat entdecken, beschreibt Abendroth die Gewerkschaften geradezu als die Verfechter der Demokratie, die ohne das Mittel des politischen Streiks hilflos mitansehen müssten, wie der Staat zum Opfer der von der monopolkapitalistischen Wirtschaftsordnung privilegierten Schichten werde. Abendroth tritt für die Gewerkschaften als Gutachter auf, um die These juristisch zu untermauern, „ein befristeter, also zeitlich begrenzter Demonstrationsstreik, der lediglich das Ziel hat, den zuständigen Gesetzgebungsorganen des Staates während der Vorbereitung eines Gesetzes die innere Einstellung der Arbeitnehmer nachdrücklich zur Kenntnis zu bringen, [könne] nicht als verfassungswidrig angesehen werden.”

In der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte und dann ab 1954 des Bundesarbeitsgerichts setzt sich jedoch die Anschauung durch, das Streikrecht der Gewerkschaften müsse beschränkt werden: Im Grundsatzurteil vom 28. Januar 1955 heißt es, Streiks seien nur zulässig, wenn sie sozialadäquat seien, d. h. wenn sie Forderungen zum Gegenstand haben, zu deren Erfüllung die gegnerische Tarifvertragspartei, die Arbeitgeber(-verbände), in der Lage sein müssten.

Zugleich wird der Grundsatz der Waffengleichheit von Streik und Aussperrung festgelegt, sei doch nur so die „Kampfparität” von Gewerkschaften und Arbeitgebern gesichert. Damit wird, wie schon mit der Verabschiedung des Grundgesetzes, das Aussperrungsverbot der Hessischen Landesverfassung übergangen. Wenig später wird der Rahmen von gewerkschaftlichen Arbeitskämpfen weiter beschnitten: Die Einschätzung der Urabstimmung als Kampfmaßnahme (1958) und das Verbot der Teilnahme an „wilden”, also an nicht von den Gewerkschaften ordnungsgemäß nach Ablauf der Friedenspflicht ausgerufenen Streiks (1963) zeigen die Tendenz der Rechtsprechung in den 1950er und 1960er Jahren, das Streikrecht einzugrenzen.

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1950 - 1966

Verhältnis DGB und SPD: Wenig Einfluss der Gewerkschaften auf die Bonner Politik
DGB blickt optimistisch in die Zukunft
Konzentration auf die Tarifpolitik
Uneins über die Rolle des DGB

Themen und Aspekte dieser Epoche:

Arbeitermileus lösen sich auf
Organisationsstruktur des DGB
Angestellte, Frauen und junge Leute bleiben den Gewerkschaften gegenüber zurückhaltend 
Debatte um den politischen Streik

Verfügbare Statistiken für diese Epoche:
Arbeitslosigkeit, Arbeitszeit, Arbeitskämpfe, Löhne, Mitgliederentwicklung der Gewerkschaften, Strukturdaten zur Erwerbsbevölkerung.

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