Mit der Zerschlagung der Arbeiterbewegung verlieren Arbeiterinnen und Arbeiter die einzige Möglichkeit der organisierten Gegenwehr, der alle Bereiche durchdringende Polizei- und Verfolgungsapparat zerstört jede Keimzelle kollektiven Widerstands. Wenn überhaupt, so gibt es nur die Möglichkeit, unter strenger Geheimhaltung, in der Illegalität also, Oppositionelle zu sammeln.
Auf diese Arbeit in der Illegalität sind die Gewerkschaften von ihrer Struktur her nicht vorbereitet. Die Gewerkschaftsführer selbst können sich in ihrer Mehrheit kaum mit konspirativen Kampfpraktiken anfreunden, zumal sie, wenn sie nicht haben fliehen müssen oder verhaftet wurden, unter besonderer polizeilicher Kontrolle stehen. Unter den Bedingungen von Terror und Verfolgung, von Überwachung und Bespitzelung ist an den Aufbau einer gewerkschaftlichen Massenorganisation im Untergrund und die Fortführung der Gewerkschaftsarbeit nicht zu denken.
Verdeckte Kontakte
Dennoch verdienen alle Versuche, unter den Bedingungen der Nazi-Diktatur in einzelnen Bereichen gewerkschaftliche Aktivitäten bis hin zu Streikaktionen zu entfalten, Respekt. Allerding fallen diese Aktionen nicht in die Rubrik „gewerkschaftlicher Widerstand“. Denn Widerstand ist mehr. Es sind die Aktionen, die darauf gerichtet sind, die nationalsozialistische Diktatur zu behindern oder zu zerstören.
Gewerkschaftlicher Widerstand ist zunächst einmal der Versuch, den persönlichen Zusammenhalt oppositioneller Gewerkschafter aufrechtzuerhalten. Es ist der Versuch, auf illegalem Wege Informationen über die Situation in den Betrieben zu sammeln und zu verbreiten. Es ist der Versuch, den Propaganda-Tiraden politische Aufklärung entgegenzuhalten. Es ist der Versuch, den Kontakt zwischen Widerstandsgruppen im Reich und im Exil, auch zwischen deutschen und ausländischen Gewerkschaftern zu halten. Und es ist der Versuch, Vorbereitungen für die „Zeit danach” zu treffen. Widerstand, das ist auch „Wartestand“ (U. Borsdorf).
Mit dieser vielleicht bescheiden anmutenden Aufgaben- und Zielbestimmung reagieren die gewerkschaftlichen Widerstandsgruppen auf die gegebene Situation: Angesichts der Terrormaßnahmen einerseits und der sich ausbreitenden abwartend-wohlwollenden Haltung weiter Kreise der Bevölkerung zum Regime andererseits ist an eine groß angelegte Widerstandsaktion ohnehin nicht zu denken.
Erste Voraussetzung für die Formierung eines gewerkschaftlichen Widerstandes ist es, den Kontakt zu halten, um damit die eigene politische Überzeugung gegen den wachsenden Druck der nationalsozialistischen Propaganda zu stärken und Informationen auszutauschen. Dank geschickter Tarnung gelingt es sogar bekannten Gewerkschaftsführern, diese Aufgabe zu erfüllen. Das gilt z. B. für Alwin Brandes von den Metallarbeitern, für Fritz Husemann von den Bergarbeitern, und das gilt für Jakob Kaiser von den Christlichen Gewerkschaften.
Kaiser übernimmt die Aufgabe, die Renten- und Versorgungsansprüche der 1933 entlassenen christlich-nationalen Gewerkschafter zu vertreten, was ihm vielfältige „legale” Besuche bei ehemaligen Funktionären erlaubt. Auch der Beruf des Vertreters – Bernhard Göring vom Zentralverband der Angestellten reist als Zigarrenhändler, Hans Gottfurcht als Versicherungsagent durch Deutschland – bietet gute Möglichkeiten zu verdeckten Kontakten. Relativ günstige Bedingungen finden sich zudem in allen Berufen des Transportwesens. So ist es nicht verwunderlich, dass der Anteil z. B. der Eisenbahner um Hans Jahn und Otto Scharfschwerdt und der Transportarbeiter um Adolph Kummernuss an der Widerstandsarbeit der dreißiger Jahre hoch ist, zumal diese die Unterstützung der Internationalen Transportarbeiter-Föderation unter Edo Fimmen finden. Nach Jahns Angaben besitzt seine Organisation im März 1936 137 Stützpunkte mit 284 Stützpunktführern und 1.320 Funktionären.
Zur Präsenz dieser Widerstandsarbeit tragen auch die Verbindungen zu anarcho-syndikalistischen Gruppen bei, etwa zu Angehörigen der Freien Arbeiterunion Deutschlands, die eine im Verhältnis zur Mitgliederzahl überproportional hohe Aktivität entfaltet. Auch die Metallarbeiter haben wohl ein gut ausgebautes Netz von Kontakten, zu dessen Organisatoren Alwin Brandes, Heinrich Schliestedt, Max Urich, Richard Teichgräber, Walter Uhlmann, Hans Böckler und Walter Freitag gehören.
Widerstandsgruppen in den Betrieben
Im Sommer 1935 sind etwa 100 Gruppen vor allem in Betrieben der Metall- und der Textilindustrie, des Bergbaus und des Buchdrucks aktiv. Hinzu kommen rund 70 Gruppen auf Seeschiffen. Bei den meisten Mitgliedern der Gruppen ehemaliger Gewerkschafter handelt es sich um frühere Freie Gewerkschafter, d.h. um Personen, die, wenn sie einer politischen Partei angehört haben, Sozialdemokraten waren. Relativ problemlos gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den früheren Angehörigen der Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften. Nur vereinzelt werben die Freien Gewerkschafter, zum Beispiel die Eisenbahner, für eine Zusammenarbeit mit Kommunisten. Die Kontakte zu RGO-Gruppen sind selten.
Derartige Kontakte und Gruppenbildungen kann man dem Widerstand zuordnen, wenn sie zu gegen das Regime gerichteten Aktionen führen. Zu denken ist etwa an den Transport und Austausch von Tarnschriften und Informationsblättern und – natürlich – an die Anfertigung und Verteilung von Flugblättern.
Weder die unter dem Deckmantel von Vertreterbesuchen verborgenen Treffen mit allein mündlicher Kommunikation noch die Zirkel, die darüber hinaus wirksam werden, sind indessen vor dem Zugriff der Gestapo sicher: Heinrich Schliestedt und Hans Gottfurcht müssen ins Ausland fliehen, Heinrich Imbusch wird beim Versuch, ihn aus dem Saarland zurück ins Reich zu verschleppen, zusammengeschlagen, Fritz Husemann wird 1935 verhaftet und „auf der Flucht“ erschossen und Hermann Schlimme wird 1937 verhaftet. Auch das von Hans Jahn aufgebaute Netz von Stützpunkten der Eisenbahner wird 1937 durch Massenverhaftungen fast völlig zerschlagen. Ebenso ergeht es dem illegalen Kreis um Alfred Fritz vom Verband der Nahrungsmittel- und Getränkearbeiter.