Das Ende der Inflation, die Regelung der Reparationsfrage mit dem Dawes-Plan und das Hereinströmen ausländischer Kredite ermöglichen ab 1924 einen Wirtschaftsaufschwung. Es ist der gewerkschaftlichen Politik zu verdanken, dass die Besserung der wirtschaftlichen Lage zumindest teilweise auch den Arbeitnehmern zugutekommt.
Obwohl die Gewerkschaften aus der Inflationskrise geschwächt hervorgehen, so zeigt ihr Arbeitskampfverhalten 1924 doch eine auffällige Militanz. Die Neuordnung der Währung und die Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 machen neue Tarifabschlüsse erforderlich. 1924 wird, das zeigt ein Blick auf die Arbeitskampfstatistik, zum „Kampfjahr”. Doch das Zahlenverhältnis von Abwehr- und Angriffsbewegungen zeigt, dass die Gewerkschaften in einer Verteidigungsposition sind, aus der sie erst 1925 mit beginnender Stärkung der Organisationen herauskommen.
Nicht zu übersehen ist auch, dass die Arbeitskampfaktivität nach der Inflation – wegen der Schwäche der Gewerkschaften und wegen der staatlichen Schlichtung – unter dem Niveau der Nachkriegsjahre liegt. Die Grenzen des Schlichtungswesens und der gewerkschaftlichen Durchsetzungskraft werden besonders deutlich im Ruhreisenstreit 1928. Hier zeigt sich, dass bereits vor der Weltwirtschaftskrise für die Arbeitgeber der Schwerindustrie das Ende der Kompromissbereitschaft erreicht war.
Debatte über die Lohnpolitik
Im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit in der Mitte der 1920er Jahre stehen die Lohnprobleme: Von 1924 bis 1929 steigen die Löhne rascher als die Lebenshaltungskosten, so dass die Reallöhne pro Woche 1928 bis 1929 das Niveau der Vorkriegszeit (1913/14) erreichen oder übersteigen.
Auch in den Zwanziger Jahren ist die Lohnentwicklung je nach Beruf und Industriezweig sehr unterschiedlich. Es wirft ein bezeichnendes Bild auf die gewerkschaftliche Politik, dass die Frauenlöhne nach dem Kriege wieder sinken, der Abstand zu den Männerlöhnen wird wieder größer.
Zwar steigt die Lohnquote, also der Anteil von Lohn und Gehalt sowie Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung am Volkseinkommen, gegenüber 46,4 Prozent im Jahre 1913 enorm an auf 57,6 Prozent 1927 bzw. 59,8 Prozent 1929. Doch zu berücksichtigen sind nicht nur die Bevölkerungsentwicklung, sondern auch die Verarmung des Mittelstands im Gefolge der Inflation: Die Quote des „Renteneinkommens” wird gedrückt, und die Zahl der lohnabhängigen Arbeitnehmer steigt an.
Schon in den damaligen Debatten ist die Lohnhöhe überaus umstritten. Die Gewerkschaften, prominent vertreten durch Fritz Tarnow, meinen mit der Verbesserung der Einkommenssituation der Arbeitnehmer zugleich die Kaufkraft und damit die Wirtschaftstätigkeit zu stärken. Demgegenüber beharren die Arbeitgeber auf der Ansicht, die Löhne hätten eine Höhe erreicht, die sich als schwere Belastung der Investitionsentscheidungen auswirke. Das führe zur Lähmung der Wirtschaft und damit zur Verstärkung der Arbeitslosigkeit. Schuld an der Lohnhöhe seien die Gewerkschaften, aber auch die staatliche Schlichtungspraxis, auf deren Hilfe die Gewerkschaften bei aller Kritik an der Eingrenzung des Streikrechts – nach eigenem Eingeständnis – nicht verzichten wollen.
Die Lohnhöhe gilt auch manch wissenschaftlichem Betrachter – zu erinnern ist an die von Knut Borchardts Thesen ausgelöste Kontroverse“ – als eine der Ursachen für die „Krankheit” der deutschen Wirtschaft in den 1920er Jahren. Ausdruck dafür sind im langfristigen Vergleich das relativ geringe Wirtschaftswachstum, die relativ niedrige Investitionsrate und die relativ hohe Arbeitslosigkeit. Der inneren Logik dieser Argumentation entsprechend, gelten gewerkschaftliche Politik und staatliche Zwangsschlichtung als zentrale Ursachen für die wirtschaftliche Misere schon der 1920er Jahre.
Ohne auf die Debatte zu dieser Frage eingehen zu wollen, sei daran erinnert, dass die Weltwirtschaftskrise nicht von Deutschland ausgegangen ist und dass die Entwicklung der Löhne keineswegs den durch die Produktivitätsentwicklung gezogenen Rahmen sprengten. Auch sind die Löhne – man denke nur an das Zinsniveau – keineswegs der einzige Kostenfaktor. Und schließlich wird man einwenden können, dass angesichts des weltweiten Trends zur Schutzzollpolitik von der Exportwirtschaft keine ausreichenden Nachfrageimpulse gegeben werden konnten, so dass Wirtschaftsbelebung und Verminderung der Arbeitslosigkeit der Stärkung der Massenkaufkraft bedurften. Ohne die Lohnerhöhungen der 1920er Jahre hätte die wirtschaftliche Situation gewiss noch düsterer ausgesehen.
Schlichtungsverordnung vom 30. Oktober 1923 (pdf)
Konfliktthema Arbeitszeit
Zu den zentralen Konfliktthemen zwischen Gewerkschaften und Arbeitgebern gehört – natürlich – auch die Arbeitszeit. Die Arbeitgeber legen im Sommer 1924 eine Denkschrift über die Arbeitszeitfrage vor, in der es heißt: „Die deutsche Wirtschaft ist unter der Einwirkung des Versailler Diktats, der Inflation und der produktionsfeindlichen Sozialpolitik der Nachkriegszeit” – insbesondere des „schematischen Achtstundentages” – „zum Zusammenbruch gekommen”.
Auf der Basis dieser Position und mit der Arbeitszeitverordnung vom Dezember 1923 im Rücken, nutzen die Arbeitgeber nahezu aller Branchen die Gunst der Stunde und setzen Verlängerungen der Arbeitszeit durch. Trotz einer – im Hinblick auf die Schwäche der Gewerkschaften – bemerkenswerten Arbeitskampfaktivität im Jahre 1924 geht die 48-Stunden-Woche für mehr als die Hälfte der Vollarbeitskräfte 1924 verloren. Die Gewerkschaften können nur zum Teil dem Druck in Richtung auf eine Verlängerung der Arbeitszeit widerstehen: Die ab 1. Januar 1925 gültigen Tarifverträge gestatten für 10,9 Prozent der Arbeitnehmer eine Arbeitszeit von mehr als 48 Stunden pro Woche. Dieser Anteil steigt sogar bis zum 1. Januar 1927 auf 13,4 Prozent.